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Dr. Lukas Kagerbauer

„Die Eltern spielen eine große Rolle bei der Berufsorientierung“

Dr. Lukas Kagerbauer ist 39 Jahre alt und seit sechs Jahren Bereichsleiter Berufsausbildung bei der IHK Würzburg-Schweinfurt. Im ersten Teil des Interviews spricht der Diplom-Volkswirt über das aus seiner Sicht ungerechtfertigt schlechte Image, das die duale Ausbildung in Deutschland genießt – und über deren Folgen für Betriebe.

Im zweiten Teil erläutert der Ausbildungsexperte Lösungsansätze und Empfehlungen, wie auch kleinere Betriebe wie Brandt Hülsen die Herausforderung des Fachkräftemangels in Zukunft meistern können.

Frage: Nicht nur Verpackungshersteller wie Brandt Hülsen spüren den Fachkräftemangel infolge des demografischen Wandels. Woran machen Sie als Ansprechpartner für Ausbildung bei der IHK das Problem fest – abgesehen von den „nackten Zahlen“?

Lukas Kagerbauer: Die Herausforderung ist nicht neu, wird aber durch den demografischen Wandel nochmals verschärft. Die Zahl der Schulabgänger wird geringer, dadurch wird der Wettbewerb um die verfügbaren Azubis härter – und damit um die späteren Facharbeiter.

Das Problem gibt es ja schon länger. Was sind die Ursachen für zu wenig Fachpersonal?

Dr. Kagerbauer: Da ist die seit vielen Jahren niedrige Geburtenquote. Diesen Effekt können wir nicht mehr ändern. Es gibt Berechnungen, wonach allein in Bayern bis zum Jahr 2030 rund 1,2 Millionen Fachkräfte fehlen werden. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg hat berechnet, dass wir in Deutschland 400.000 qualifizierte Zuwanderer bräuchten – pro Jahr – um den Fachkräfteengpass zu kompensieren.

Werden nur zu wenige Jugendliche ausgebildet? Oder liegt es auch an anderen Faktoren?

Dr. Kagerbauer: Seit einigen Jahren kommt das aus meiner Sicht nicht nachvollziehbare schlechte Image der dualen Ausbildung als Ursache für den Fachkräftemangel hinzu. Ganz anders ist dieses Image im Ausland, dort genießt unser duales System einen hervorragenden Ruf. Wir hatten kürzlich wieder Besuch von Politikern aus dem Ausland, aus China, Russland, USA. Die waren alle sehr interessiert daran, wie wir in Deutschland das hinbekommen – tolle Fachkräfte zu entwickeln! In Deutschland wird die duale Ausbildung leider oftmals als Karriereweg der „2. Schiene“ gesehen – in Relation zum akademischen Karriereweg. Dabei will ich die akademische Schiene gar nicht schlecht reden. Allerdings sind beide Karrierewege als gleichwertig anzusehen.

Die berufliche Ausbildung bietet genauso viele Möglichkeiten für eine erfolgreiche Laufbahn wie ein Studium!

Wo würden Sie ansetzen, um dieses so unbegründet schlechte Image der Berufsausbildung zu verbessern?

Dr. Kagerbauer: Wir müssen dahin kommen, dass die Karrierewahl wieder viel stärker an den tatsächlichen Stärken und Präferenzen der Jugendlichen ausgerichtet wird. Hierzu braucht es auch eine ehrliche Einschätzung der Eltern. Leider wird hier das Studium als das „Beste“ für das Kind angesehen. Dies ist allerdings in der Realität vielfach nicht der Fall, was die hohen Abbruchquoten in vielen Studiengängen belegen. Der Start in eine berufliche Ausbildung bietet ja genauso viele Möglichkeiten für eine erfolgreiche Laufbahn wie die akademische Ausbildung. Den wenigsten Menschen ist es jedoch bewusst, dass man in Kombination mit einer dualen Ausbildung und bestimmten Weiterbildungsmodulen den gleichen Qualifikationsstandard erreichen kann wie bei einem Bachelor oder Masterabschluss.

Inwieweit spielen die Eltern eine Rolle bei der Berufsorientierung?

Dr. Kagerbauer: Die Eltern spielen wie bereits erwähnt eine große Rolle. Sie sind die ersten Ansprechpartner und Berater für ihre Kinder. Freilich wollen Eltern immer das Beste für ihr Kind, aber das Beste ist eben nicht immer ein Studium! Das hängt einfach stark vom Kompetenzprofil der Kinder und Jugendlichen ab.

Zum Ausbildungsstart 2021/2022 sind erneut viele Ausbildungsplätze unbesetzt geblieben. Woran liegt das?

Dr. Kagerbauer: Im Wesentlichen ist dies aktuell durch die Verunsicherung und Zurückhaltung der Jugendlichen zurückzuführen. Und das hat aktuell eben auch eine Menge mit den Auswirkungen der „Corona-Pandemie“ zu tun. Ein Beispiel: Im Jahr 2020 registrierten wir hier bei der IHK Würzburg-Schweinfurt etwa 500 weniger Ausbildungsverträge als im Jahr zuvor. Heuer befinden wir uns auf fast demselben schwachen Niveau wie 2020 – etwa 500 weniger Jugendliche haben ihre Ausbildung angetreten. Der pandemie-bedingte Ausfall von wichtigen Berufsorientierungsmaßnahmen wie Messen oder Praktika hat diese Entwicklung verstärkt. Es ist zu hoffen, dass diese wichtigen Präsenzformate zeitnah wieder stattfinden können.

„Nach wie vor suchen Betriebe händeringend nach Azubis. Das gilt für alle Branchen!“

Bedeutet das, dass manche Jugendlichen den ganzen Tag zuhause sitzen, wenn sie keine Ausbildungsstelle seit 2020 angetreten haben?

Dr. Kagerbauer: Diese Frage lässt sich nicht vollständig beantworten. Wir wissen aus den Berufsschulen, dass dort mehr Jugendliche als sonst in den Berufsvorbereitungsklassen sitzen. Manche Lehrer fragen sich: Was macht ihr alle hier? Denn die Jugendlichen können auch noch nach dem 1. September in die Ausbildung starten. Zudem entscheiden sich viele Schülerinnen und Schüler für eine Fortsetzung der Schullaufbahn – insbesondere der Übertritt auf die Fach- und Berufsoberschulen ist eine beliebte Option.

Stimmt es, dass Firmen im ländlichen Bereich noch mehr Schwierigkeiten haben als in Ballungszentren, Fachpersonal zu finden? Wenn ja, was bedeutet das für kleinere Unternehmen wie Brandt Hülsen?

Dr. Kagerbauer: Hier muss man differenzieren! Im ländlichen Raum gibt es mehr Menschen mit höherem Alter und weniger Schulabgänger. Der Vorteil abseits der Städte: Hier gibt es viele familiengeführte Unternehmen, die auch als Arbeitgeber bekannt sind. Wenn es gelingt, das eigene, oft gute Image sichtbar zu machen, kann man durchaus wie ein Magnet neue Azubis gewinnen.

Sicher ist: Der Wettbewerb um Fachkräfte ist im ländlichen Raum größer. Allerdings haben Arbeitgeber die Chance, durch das Angebot beispielsweise von mobilen Arbeitsformen bei potenziellen Bewerbern und Mitarbeitern zu punkten. Gleichzeitig kann man so den Pool an potenziellen Bewerbern deutlich erweitern, wenn die Fixierung auf den Standort aufgelöst wird.

Bild oben: Dr. Lukas Kagerbauer verantwortet den Bereich Berufsausbildung bei der IHK Würzburg-Schweinfurt. Foto: Jonas Blank.

Die Fragen stellte Stefan Beck

Teil 2 des Interviews folgt in etwa 4 Wochen!

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